Thomas Gromann über einen Elsässer Wein, der ihn nachhaltig inspirierte.

Wer sich nur mit seinen eigenen Weinen ausein­andersetzt, egal wie lange oder intensiv, wird sie nie richtig verstehen – davon ist Thomas Gromann überzeugt. Für einmal erzählt er nichts über seinen eigenen Lagenwein «Vogelsang», sondern über einen anderen Pinot Noir, der ihn inspiriert.

Es gibt ein paar Momente, egal wie lange sie nun schon her sind, an die erinnere ich mich noch ganz genau. Momente, in denen grosse Leidenschaften begannen. Oder in denen ich bemerkte, dass sie da waren. Als ich das erste Mal Mylène Farmer hörte, mein erstes Spiel an der Anfield Road sah, den ersten weissen Trüffel auf Spiegelei ass. Und dann war da meine erste Begegnung mit dem Clos de la Faille, mit dem meine Leidenschaft für die grossen Lagenweine des Elsass begann.

Wir waren auf dem Rückweg aus dem Elsass, wo wir ab und zu ein paar kulinarische Tage zu verbringen pflegten. Wir liessen uns von den Sommeliers gerne beraten und tranken Rieslinge und Pinots Gris, zum Fleisch jedoch meistens rote Burgunder oder Saint-Joseph. Bis mir nach einem sehr ausgedehnten und weinseligen Menü ein bekannter Sommelier mit verschwörerischer Mine ein Glas Pinot reichte. Schmeckte gut. Sehr gut. Vor allem speziell. Und ich meine nicht dieses typisch schweizerische «speziell», diese eigentlich beleidigende Floskel für «geh mir bloss weg mit dem Zeug». Sondern speziell in der Form, dass der Wein in jeder Beziehung einem grossen Pinot Noir entsprach, wie man ihn sich vorstellt, und trotzdem einen ganz eigenen Charakter hatte, den ich bisher noch nicht kannte. Mit der Adresse auf einem Zettel und dem Vorsatz, auf der Rückreise bei dieser Domaine vorbeizufahren, verliessen wir begeistert den Gourmettempel.

Nicht ganz so begeistert war das Gesicht von Marie-Thérèse Barthelme, als ich am nächsten Morgen ohne Anmeldung in Wettolsheim auf dem Hof der Domaine Albert Mann stand. Meinen Zettel in der Hand, als wäre er eine Einladung. Eigentlich keine Zeit, ohne Anmeldung geht gar nicht, viel zu tun. Erst als ich den Namen des Sommeliers ins Spiel brachte, willigte sie ein, mir zwei oder drei Weine zu zeigen, eine Viertelstunde, mehr nicht. Einen Pinot Blanc, einen Pinot Gris und einen Grand Cru Riesling später griff sie schon zu einer Vendage Tardif – im Elsass das sichere Zeichen, dass die Degustation nun zu Ende ist. Ich fragte nach Pinot Noir, tat so, als hätte ich den Wink mit dem Süsswein-Pfahl nicht verstanden. Sie fand noch einen kleinen Schluck Clos de la Faille 2011 in einer Flasche vom Vortag. Der Rest ist für mich Geschichte.

Schon die Nase des Clos de la Faille ist die pure Ex­pression von Pinot Noir. Klare Noten von Kirsche, roten Beeren und noble Holztöne, ganz feine Röst­aromen. Im Gaumen dann dieses Vibrieren, wie es nur junge Weine hervorbringen, bei denen Säure und Adstringenz in per­fekter Beziehung stehen. Zwischen Harmonie und Spannung, lebendig, fordernd. Das – im positiven Sinne – Irritierendste daran war, dass dieser Wein einen so klar eigenen Charakter hatte und mich trotzdem stark an die letzten Degustationen meines Vogelsangs 2011 erinnerte. Die beiden Weine waren ganz anders und trotzdem irgendwie gleich.

«Die beiden Weine waren ganz anders und trotzdem irgendwie gleich.»

An diesem Montagmorgen begann meine Leiden­schaft für Elsässer Lagenweine. Den wenigen Flaschen, die mir Marie-Thérèse Barthelme verkaufte, folgten im Laufe der Zeit immer mehr und die Be­suche im Elsass wurden immer häufiger. In meinem Keller gesellten sich zu Albert Mann weitere Pro­duzenten. Boxler, Tempé, Buecher. Auch die anderen Lagen-Pinots von Albert Mann haben es mir angetan. Doch wird es immer der Clos de la Faille bleiben, den ich Jahr für Jahr als Referenzpunkt nehme, von dem aus ich mir den Jahrgang der Domaine und der Region erschliesse. Und mit dem ich meine Weine vergleiche. Obwohl sie so ganz anders sind. Anders gleich!