Was Gourmets von ihren Lieblingsweinen seit Langem wissen, ist ihnen beim Spargel oft noch nicht be­wusst: Das Terroir, also Natur, Wetter und Boden, bestimmt den Charakter. Höchste Zeit also, sich auf die Suche nach dem Geheimnis der Frühlings­delikatesse zu machen.

Generationen hungriger Adelbodner be­stellten im Alpenblick ihr Menü eins mit Suppe. Und vielleicht einen Dreier offenen Roten dazu. So hat es Björn Inniger selbst miterlebt, ist er doch quasi in der Gaststube aufgewachsen, die seine Eltern ab 1988 führten. «Sie hatten drei Rotweine und drei Weissweine auf der Karte», der Vorschlag kam vom lokalen Getränkehändler.

Auch heute gibt es sie noch, die Dorfbeiz, in der Handwerker ihren Znüni nehmen, der Anzeiger durchgeblättert, die Geschehnisse des Dorfes diskutiert oder das Skirennen im Fernseher verfolgt werden. Doch mittlerweile wird im hinteren Teil, der «Stuba», weiss aufgedeckt und Gourmetküche zelebriert. Und auch die Weinkarte bietet eine beachtliche Auswahl an Spitzengewächsen aus aller Welt. Der Fokus liegt aber ganz klar auf dem Weinland Schweiz.

Für Björn Inniger war es klar, in die Fussstapfen seiner Eltern zu treten, und er machte eine Kochlehre. Dann begab er sich auf seine Wanderjahre, wollte in besten Küchen und Hotels lernen und Erfahrungen sammeln. Seine Stationen dabei stehen irgendwie sinnbildlich für die heutige Ausrichtung seines Betriebes: Thunersee, Engadin, Fri­bourg, Bern. Alles Spitzenbetriebe, doch alle mehr oder weniger in der Nähe.

Das spiegelt sich in Speise- wie Weinkarte des heutigen Alpenblicks wider, den Björn zusammen mit seiner Frau Marianne seit 2014 von den Eltern übernommen hat. Regionale Spitzenprodukte, so frisch und saisonal wie möglich. Oder dann auch mal selbst eingemacht.

Jetzt im Frühjahr beginnt für Köche wie Gourmets eine der schönsten Zeiten: die Spargelzeit! Inniger schwört auf das edle Stangengemüse aus dem Berner Seeland. Er ist sich sicher: «Besser und frischer geht es nicht.» Normalerweise lässt er ihn täglich von seinem Gemüselieferanten in die Berge liefern. Doch heute will er den Spargel nochmals besser kennenlernen und fährt selbst aufs Feld. Ernst Bichsel erwartet ihn schon vor seinem Täuffeler «Frischmärit», dem Laden, in dem er und seine Frau Sandra die Produkte ihres Biohofs verkaufen. Dann geht es gemeinsam auf Entdeckungsreise.

«Spargeln können alles sein, banal bis genial,
genauso wie Wein.»

Das Dorf Täuffelen liegt auf einem Hügel auf der Südseite des Bielersees, einer End­moräne der letzten Eiszeit. Von dort fällt der Hang erst steil, dann immer sanfter in Richtung Süden ab, bevor sich das Gelände auf der anderen Seite wieder zum nächsten Hügelzug erhebt. «Am Südhang wachsen unsere Spargeln, in der Senke, auf Moor­boden unsere speziellen Kartoffeln und am Nordhang unsere Aroniabeeren», erklärt Ernst Bichsel dem staunenden Koch. Björn Inniger will wissen, wo seine Produkte herkommen, hat schon viele seiner Weinproduzenten persönlich besucht und stand in so manchem Weinberg. Dass ihm nun ein Gemüsebauer von Süd- und Nordhängen erzählt, erstaunt ihn. «Spargeln können alles sein, genauso wie Wein. Fast industriell hergestellte Massenprodukte, die das ganze Jahr rund um den Globus geflogen werden und völlig austauschbar, ja belanglos schmecken. Oder auch ein höchst deli­kates Produkt, das die Einzigartigkeit seiner Herkunft, seines Bodens erzählt», führt Bichsel aus. Terroir also? Terroir also, ganz genau! Da scheinen sich zwei gefunden zu haben!


Sandra und Ernst Bichsel: Terroir, Bio und echter Genuss

Der Familienbetrieb der Bichsels im Seeländer Täuffelen ist eng mit ihrer Heimat verbunden, ja dicht verwoben: Schon die Grosseltern begannen 1932 auf den fruchtbaren Böden Gemüse anzubauen. Seit 2013 sind es Sandra und Ernst Bichsel, die den Betrieb führen. Sie leben Landwirtschaft und Regionalität in eindrücklicher Konsequenz. In ihrem Täuffeler Laden «Frischmärit» bieten sie Produkte an, von denen viele nur ein paar Gehminuten entfernt gewachsen sind. Dazu fahren sie auf die Stadtbieler Wochenmärkte und betreiben die «Stedtlichäsi» im nahen Aarberg. Auf ihrem Biohof produzieren sie auf sechs Hektaren neben ihren berühmten Spargeln und anderem Gemüse auch Früchte, Schnittblumen sowie eine spezielle Sorte von langsam im Moor­boden wachsenden Kartoffeln. Ganz speziell sind die Aroniabeeren, die als wahres Superfood gelten. Aus diesen Vitaminbomben stellen sie auch das beliebte Erfrischungsgetränk «Ärnscht» her. Bio, Tradition und Innovation gehen bei Bichsels also Hand in Hand.

frischmaerit.ch

Das eigentliche Spargelfeld scheint sich Björn Inniger allerdings anders vorgestellt zu haben: Man sieht nicht gerade viel, hier und da ein paar grüne Spitzen und ein spezielles Rollgestell, das behutsam und langsam über die Furchen gleitet, um die mühsame Handernte zu erleichtern. «Das ist auch gut so», lacht Bichsel und erklärt bereitwillig, wieso ein perfekt gepflegtes Feld einen so kargen Eindruck macht. «Die Spargelstöcke stecken etwa 25 Zentimeter tief im Boden. Von dort aus spriessen ihre Triebe in die Höhe – mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit von etwa 15 Zentimeter pro Tag. Sobald sie etwa 20 Zentimeter aus der Erde ragen, schneiden wir sie und bringen sie dann so schnell wie möglich zu den Kunden.» So ist Bichsels Erntemannschaft den ganzen Tag auf dem Feld unterwegs und erntet immer genau die Spitzen, welche die optimale Länge haben. Automatisieren lässt sich hier nichts.

Björn Inniger nimmt ein Messer zur Hand, schreitet über das Feld und bückt sich zigmal, bis er seinen ersten Bund selbst geernteten grünen Spargel in der Hand hält. Ein Dutzend Meter weiter westlich wächst eine andere Sorte. «Den Violetten kann man auch roh sehr gut essen, er hat weniger Bitterstoffe.»

Bis zu 15 Zentimeter pro Tag wachsen die grünen Stangen. Das macht es aufwendig,
sie genau in der richten Länge zu ernten.

Hier in Täuffelen pflanzen die Bichsels nur grünen und violetten Spargel an. Dafür ist das Terroir hier ideal. Das Terroir – es scheint für den überzeugten Biobauern ein zentrales Thema zu sein. «Da unten in der Fläche haben wir vom Hochmoor her einen sehr schweren, dunklen Boden, dort pflanzen wir eine ganz spezielle Sorte Kartoffeln an. Sie wächst sehr langsam und ist ganz besonders in Konsistenz und Geschmack.» Welche Sorten genau? Das bleibt bei den Kartoffeln wie beim Spargel Bichsels Geheimnis. Denn er ist sich sicher, seit nunmehr neun Jahren hat er für sich die optimale Kombination von Terroir, Sorte und Anbau gefunden. Sein Erfolg gibt ihm recht. «Wir haben mittler­weile eine treue Stammkundschaft, die auf unsere Produkte schwört. Wir können gar nicht so viel produzieren, wie wir verkaufen könnten. Und wir wollen auch nicht einfach Menge machen.»


Auch das sind Worte, wie sie Björn Inniger von anderen seiner Lieblingslieferanten kennt – allerdings eher von Winzern als von Gemüsebauern. «Ich bin fasziniert. Von der Qualität der Spargeln genauso wie von den Menschen, die sich mit so grosser Begeisterung deren Anbau widmen. Genau solche Emotionen, die ich von hier mitnehme, möchte ich mit meiner Küche transportieren und für meine Gäste erlebbar machen.»

Einen erdigen Handschlag später sitzt er im Auto und macht sich auf den Weg zurück ins Oberland. Eines ist sicher: In ein paar Stunden werden seine Gäste den wohl frischesten Spargel ihres Lebens geniessen!


EVENT FÜR AMIS: Vom Feld auf den Teller
Mindestens einmal mitten im Rebberg seines Lieblingsweins zu stehen und das Terroir mit allen Sinnen erleben. Das steht auf der Agenda eines jeden richtigen Weinfreunds. Und das lässt sich in der Regel auch irgendwie organisieren. Anders sieht es bei Spargeln aus, dort findet der Erstkontakt wenn nicht auf dem Rüsttisch, dann höchstens auf dem Wochenmarkt oder im Hofladen statt.

Am 9. Juni 2023 nehmen sich Sandra und Ernst Bichsel trotz dem saisonalen Hochbetrieb ein paar Stunden Zeit für die Amis der Weinkultur Bielersee. Wir besuchen gemeinsam mit 25 Amis das Täuffeler Spargelfeld und können selbst beim Ernten Hand anlegen. Die Spargeln nehmen wir mit auf das Weingut Krebs & Steiner in Schernelz, wo wir, begleitet von den passenden Weinen, die vielleicht frischesten Spargeln der Saison geniessen werden.

Anmeldung
Spargeln direkt auf dem Feld ernten und dann auf dem Weingut kulinarisch geniessen! Hier anmelden.