Spitzenkoch Daniel Lehmann und Fischer Marcel Martin gehen den Bieler Krebsen auf die Spur.

Daniel Lehmann vom Hotel Moosegg im Emmental ist ein grosser Weinliebhaber und fährt deshalb regelmässig zu seinen Winzern an den Bielersee. Doch heute steht ein anderes lokales Produkt im Fokus, das im Gegensatz zu den Weinen fast niemand kennt: der Kamberkrebs.

Gute Produkte, das weiss jeder leidenschaftliche Koch, sind das A und O in der Küche. Denn was nützen die besten Kochkünste, wenn die Produkte austauschbar oder nichtssagend sind? Und dann gibt es noch die ganz Verrückten: Köche, die sich nicht einfach mit einem guten Produkt zufriedengeben, sondern immer auf der Suche nach dem Allerbesten, Einzigartigen sind. Daniel Lehmann vom Hotel Moosegg im bernischen Emmenmatt ist so einer. Allerdings fährt er zur Suche nicht in die grosse Welt hinaus. Für ihn ist klar, dass seine Heimat ihm alles bietet, was er als Spitzenkoch braucht, um Gerichte zu kreieren, die voller Aroma sind und die ganze Geschmackspalette ihres Terroirs wiedergeben. Produkte, die dort zu finden sind, wo er aufgewachsen ist: zwischen Bieler- und Brienzersee, inmitten der saftig grünen Hügel des Emmentals. Die Beschaffenheit des Bodens, die Qualität der Luft, die heimische Flora und Fauna – das sind alles Faktoren, die ihre sensorischen Spuren hinterlassen und einem Produkt seinen Charakter und seine Einzigartigkeit verleihen.

Nicht nur für den Wein fährt Lehmann regelmässig an den Bielersee. Auch die Fische auf seiner Speisekarte stammen wenn immer möglich aus Schweizer Zucht oder Wildfang. Heute steht ihm aber der Sinn nach einem anderen lokalen Produkt. Einem, das man hierzulande fast nicht kennt und das trotzdem kulinarisch viel zu bieten hat: den Krebsen aus dem Bielersee. Deshalb wollte er schon immer einmal dabei sein, wenn der Ligerzer Fischer Marcel Martin mit seinem Boot frühmorgens auf den See hinausfährt, um seine Netze einzuholen. Nun, nachdem sein zehnjähriger Göttibueb Louis sich zum Geburtstag einen gemeinsamen Tag beim Fischen gewünscht hatte, beschloss Lehmann, die beiden Wünsche miteinander zu verbinden. Und so treffen wir die beiden an einem kühlen und windigen Junimorgen vor dem Bootshaus des Fischers Martin am Ligerzer Ufer. Während der Rest der Welt noch friedlich schläft und sich die Sonne noch hinter dem Horizont versteckt, ziehen wir die Schwimmwesten an und steigen in die Boote. Die Müdigkeit ist auf einen Schlag verflogen – Abenteuerlust macht sich breit.

Daniel Lehmann hat schon immer mit regionalen Produk­ten gearbeitet. Lange bevor es ein grosser Trend in der Gastronomie wurde. Und es ist für ihn selbstverständlich, nach dem Nose-to-Tail-Prinzip zu kochen. Das heisst, er verwertet alles vom Tier, nicht nur die sogenannten Edelstücke. Sein Fleisch bezieht er von den Höfen aus der Umgebung. «Ich kaufe den Bauern immer die ganzen Tiere ab», sagt Lehmann. Was fürs Fleisch gilt, gilt selbstverständlich auch für die Kamberkrebse. Nicht nur ihr zartes Fleisch aus dem Schwanz wird in der Küche des Restaurants Moosegg verarbeitet – zum Beispiel zu einem echten Soulfood-Teller Pasta oder zu einem leichten Salat –, sondern auch ihre Schalen. Aus ihnen entsteht ein Fond oder eine Suppe.

Inzwischen sind wir bei der ersten der drei Bojen angekom­men. Sie markieren die Stellen, an denen Marcel Martin am Vorabend seine Netze gesetzt hat. Die ganze Nacht über sind sie im Wasser gestanden. Nun hofft der Fischer auf einen reichen Fang. Doch woher weiss er eigentlich, welches die richtige Stelle ist, um sein Netz zu platzieren? «Das lernt man mit der Zeit. Ich habe so ein Gefühl, wo sich die Tiere aufhalten könnten. Meistens habe ich recht. Und manchmal halt nicht. Die Fische gehen immer dem Futter nach. Und dieses treibt mit der Strömung», erzählt der erfahrene Fischer. Überhaupt redet er gerne und viel. So stumm die Fische im Wasser auch sind, dieses Attribut trifft auf den redseligen Fischer definitiv nicht zu: Er ist offensichtlich froh, Gesellschaft zu haben, und in seiner Begleitung wird es seinen Gästen keine Minute langweilig. Eigentlich ist Martin pensioniert. Aber richtig aufhören mag er nicht. Wie die Fische das Wasser zum Leben brauchen, braucht er seinen Bielersee.


FISCHER IN DRITTER GENERATION
Die Fischerei Martin in Ligerz wurde im Jahr 1921 von Jakob Martin gegründet. Sohn Arnold Martin übernahm den Betrieb 1961, seit 1979 wird die Fischerei von Marcel Martin geführt. Er ist inzwischen zwar pen­sioniert, fährt aber noch immer ab und zu auf den See hinaus und beliefert den Dorf­laden in Twann sowie einige Privatkunden mit seinen Fischspezialitäten. Auch Catering bietet er noch gelegentlich für Private und Firmen an.

fischerei-martin.ch

Langsam und sorgfältig wird das Netz eingeholt. «Schau, hier ist wieder einer», ruft Louis und zeigt auf den kleinen Kamberkrebs im Netz. Die Tiere haben eine bräunliche Farbe und werden höchstens 12 cm gross. Das Exemplar im Netz ist noch klein und füllt nicht einmal die Innenfläche von Louis’ Hand aus. Kulinarisch sind die Krebse übrigens deutlich attraktiver als optisch. Doch das Vergnügen auf dem Teller muss man sich zuvor auf dem See und in der Küche verdienen!

Daniel Lehmann hat speziell für die Leser des Magazins der Weinkultur Bielersee drei Rezepte kreiert, die seine typische Terroir-Küche widerspiegeln und dabei den Krebs als Hauptakteur auf dem Teller feiern. Und natürlich perfekt zu den Weinen vom See passen. Damit sich die Rezepte auch zu Hause gut nachkochen lassen, hat Lehmann sie bewusst nicht zu kompliziert gehalten, sodass man kein Spitzenkoch sein muss, um mit der Delikatesse aus dem Bielersee etwas Feines zu kreieren.

KREBSE IM BIELERSEE
In den Berner Gewässern leben verschiedene Krebsarten. Heute hat Fischer Marcel Martin Kamberkrebse gefangen. Sie sind eigentlich fremd hier, stammen aus Nordamerika, vermehren sich schnell und verdrängen die heimischen Arten. Somit ist ihr Verzehr nicht nur ein grosser Genuss – er ist auch ökologisch sinnvoll.