Biodiversität
Neben dem Klimawandel ist die Bedrohung der Biodiversität ein Thema, das weltweit die Menschen bewegt. Auch am Bielersee wird nachhaltig an der Erhaltung der Artenvielfalt gearbeitet. Ein Biologe, ein Winzer und ein Naturgärtner: Drei spannende Menschen, die sich mit dem Thema auseinandersetzen, wenn auch aus sehr unterschiedlichen Perspektiven.
Ein Hokuspokus-Typ sei er gar nicht, betont Christian Dexl gleich zu Beginn des Gesprächs. Auch wenn er als Winzer nach biodynamischen Grundsätzen arbeitet, Kuhhörner mit Mist füllt und sich in Weinberg und Keller nach den Mondphasen richtet. Das zu betonen ist ihm als studierter Umweltingenieur FH und Wein-Quereinsteiger anscheinend ein Anliegen. «Doch Wein ist ein Naturprodukt und entsteht zu 90 Prozent im Rebberg. Dort muss es stimmen. Gesunde Böden, natürliche Vielfalt, keine Chemie.» Biodynamie hat einen esoterischen Beigeschmack, doch für Dexl ist sie vor allem eine Art der Achtsamkeit im Umgang mit der Natur. Seit er vor sechs Jahren mit dieser Art der Bewirtschaftung begann, hat sich enorm viel getan. Der Boden ist weicher, reicher an verschiedensten Pflanzen, Insekten und anderen Tieren. «Das spürt man garantiert auch in den Weinen», ist er sich sicher. «Die Pinots sind filigraner, duftiger, haben mehr Charakter. Auch die Arbeit im Rebberg macht mehr Freude, wenn es blüht, kreucht und fleucht.»

Christian Dexl
Winzer, betreibt biodynamischen Weinbau
kelleramsee.ch

Beat Fischer
Biologe, Experte für Neophyten
amwegrand.podigee.io

Kurt Odermatt
Gärtner
naturgartenleben.ch
Auch der Biologe Beat Fischer sieht gerne blühende Weinberge statt Monokulturen – doch noch lange nicht jede Blüte macht ihm gleich viel Freude. Im Gegenteil: Alleine in den letzten vier Jahren hat er gemeinsam mit 15 seiner Mitarbeitenden in über 10’000 Arbeitsstunden mehr als 60 Tonnen Pflanzen in den Bieler Weinbergen entfernt. Invasive Pflanzen, die dort nicht hingehören und die heimische Artenvielfalt bedrohen. «Und mit Entfernen meine ich nicht pflücken», präzisiert er. «Zum Teil müssen wir jede Pflanze ausgraben, denn wenn nur ein Zentimeter Wurzel im Boden bleibt, ist sie im nächsten Jahr in voller Pracht wieder da.» Diesen enormen Aufwand betreibt er im Auftrag des Kantons Bern, denn am Bielersee finden sich ein paar der wertvollsten und schützenswertesten Lebensräume für seltene Pflanzen und Tiere. «Kaum jemand weiss, dass es ob Twann oder Ligerz Magerwiesen mit einem einzigartigen, fast steppenartigen Biotop gibt. Hier leben Pflanzen und Tiere, die auf magere, trockene und karge Umwelt spezialisiert sind, zum Beispiel Gold- und Bergastern.»

Wilde Schönheit als Symbol für ökologischen Fortschritt
In den steilen Weinbergen am Bielersee ist keine andere Pflanze so sehr zum Symbol des erfolgreichen Wechsels zum ökologischen Weinbau geworden wie eine einheimische Orchideenart. Die Bocks-Riemenzunge war am Jurasüdfuss vor 20 Jahren noch extrem selten. Durch Sensibilisierung, Aufklärungsarbeit und die tatkräftige Unterstützung der Winzerinnen und Winzer konnte der Bestand der mediterranen Art gefördert werden. Heute findet man die wunderschöne, aber etwas nach «Bock» riechende Orchidee in vielen naturnah bearbeiteten Rebparzellen. Bei der letzten Zählung waren es zwischen Biel und Le Landeron sogar ganze 72’000 Exemplare!
Diese sind sofort bedroht, wenn die Böden gedüngt werden. Dann setzen sich andere Pflanzen fest, auch invasive Neophyten, die längst nichts mehr in den Beeten hält, in die sie ursprünglich von Gärtnern als Zierpflanzen gesetzt wurden. Gut gemeint, doch mit fatalen Folgen.
Für den Gärtner Kurt Odermatt ist Biodiversität in seiner Branche zu einem Modebegriff verkommen. Aus seiner Sicht haben Gärten nicht die Aufgabe, natürliche Lebensräume zu ersetzen. Vielmehr dürfen Gärten die Benutzerinnen im Umgang mit der Pflanze sensibilisieren, Freude an der Schönheit oder am Ertrag bereiten oder ganz einfach ein Ort der Erholung im Alltag sein. Auch soll der Garten Ausdruck der Persönlichkeit der Benutzer sein, ihrer Bedürfnisse, ihrer Geschichte und ihrer Träume.
Biodiversität
Biodiversität ist die Vielfalt an verschiedenen Arten von Lebewesen auf der Erde. Diese Vielfalt an Arten kommt sowohl bei Pflanzen und Tieren als auch bei Mikroorganismen wie Bakterien und Pilzen vor. Biodiversität ist wichtig für das Funktionieren von Ökosystemen und für das Überleben vieler Arten auf der Erde. Sie hilft auch dabei, die Auswirkungen von Stressfaktoren wie Klimawandel und Umweltverschmutzung zu verringern.
Biodynamie
Biodynamischer Weinbau ist eine Art des Weinbaus, bei der die Pflanzen und der Boden als Teil eines geschlossenen Ökosystems betrachtet werden. Im Gegensatz zum konventionellen Weinbau werden beim biodynamischen Weinbau keine synthetischen Düngemittel, Pestizide oder andere Chemikalien verwendet. Stattdessen werden natürliche Mittel wie Kompost und Kräuterpräparate eingesetzt, um die Gesundheit der Pflanzen und des Bodens zu fördern.
Bio oder naturnah?
Bio-Labels geben den Konsumentinnen und Konsumenten Sicherheit, dass bestimmte Vorschriften und Standards kontrolliert und eingehalten werden, die von offiziellen Organisationen festgelegt wurden. Naturnah hingegen ist ein allgemeinerer und nicht geschützter Begriff, der sich auf die Verwendung natürlicher Methoden und Hilfsmittel
ohne spezifische Vorschriften oder Standards bezieht.

Odermatt erinnert sich an seine Lehrzeit Anfang der 80er Jahre. «Tausende Quadratmeter Bodendecker, eine Menge Forsythien im Rasenviereck und zwei Schwarzföhren. So und ähnlich haben wir etliche Siedlungen rund um Bern begrünt. Aus heutiger Sicht grässlich, und doch sind das kulturhistorische Zeitzeugen.»
Gärten sind letzten Endes ein Spiegelbild der Gesellschaft und somit in ständiger Veränderung. So betrachtet sind sie ein offenes Experimentierfeld, bestenfalls auch zu Gunsten der Biodiversität. «Heute bin ich der Überzeugung, dass (beinahe) jede Pflanze ihren Platz im Garten hat. Immer vorausgesetzt, sie wird standortgerecht und in einer spannenden Vielfalt verwendet. Der Garten als Lebensraum, primär jedoch für den Menschen.
Neophyten und was dahinter steckt
In der Schweiz gibt es knapp 3’000 Wildpflanzenarten, die als autochthon, also heimisch gelten. Dazu kommen zirka 750 Neuzuzüger, die Neophyten. Da sich die biologische Vielfalt seit jeher ändert, wurde von der Wissenschaft das Datum der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus im Jahr 1492 als zeitliche Grenze genommen. Was danach kam, gilt als neu. Also auch viele Nutzpflanzen wie Mais, Kartoffeln oder Tomaten. Noch lange nicht alle neuen Arten sind eine Bedrohung für unser Ökosystem, etwa 88 gelten als problematisch. Sie vermehren sich ohne Zutun und verdrängen einheimische Arten, indem sie ihren Lebensraum monopolisieren. In den Weinbergen am Bielersee sind es vor allem drei invasive Neophyten, die ein Problem darstellen und deshalb aktiv bekämpft werden müssen:

Einjähriges Berufkraut
So schön und harmlos es auch aussieht: Ein Pflanze kann bis zu 50’000 Samen bilden, die auch noch nach 5 Jahren problemlos keimen und heimischen Pflanzen kaum Chancen oder Platz lassen.

Goldrute
Seit den 1980er Jahren flutet die wunderschön gelb blühende Zierpflanze die Schweiz. Flussufer und Brachen werden rasch zu goldenen Monokulturen.

Verlotscher Beifuss
Die Pflanze mit dem grössten Problempotenzial am See. Sie muss aufwendig ausgestochen werden. Bleibt nur ein winziger Wurzelrest im Boden, ist sie sofort wieder da.
Beat Fischer sucht immer wieder den Kontakt mit den Gartenbesitzerinnen in den Gemeinden rund um den See und sensibilisiert sie für das Thema der invasiven Arten. Mit den Winzern hat er zwangsläufig Kontakt, denn in ihren Anlagen wachsen die Problempflanzen. «Natürlich gibt es überall verschiedene Ansichten und mehr oder weniger Einsicht», weiss er aus jahrelanger Erfahrung, «doch unsere Erfolge geben uns langfristig recht.»
EVENT FÜR AMIS: Orchideen und andere Wunder im Rebberg
Gemeinsam mit dem Biologen Beat Fischer begehen wir die Lage Summerrode in Ligerz. Dort wächst nicht nur der legendäre Sauvignon Blanc, sondern sonst allerhand Spannendes. Ein Samstagmorgen der speziellen Art – mit Orchideen und Apéro.
Weitere Infos und Anmeldung finden Sie hier.